Was sind Arbeitszeiten?

Die Arbeitszeit ist der Zeitraum, in dem ein:e Arbeitnehmer:in einer bezahlten Arbeit nachgeht. Angemessene Arbeitszeiten sind ein Kernelement guter Arbeitsbedingungen und haben große Auswirkungen auf das Einkommen, das Wohlbefinden und die Lebensbedingungen der Beschäftigten.

Mehr Beschäftigte, die länger arbeiten, können zwar zu einer Steigerung der Unternehmensleistung beitragen, aber die Produktivität (d. h. der Output pro gegebener Input-Einheit) sinkt. Überlange Arbeitszeiten können Unternehmen auch Probleme bereiten, z. B. Unfälle und schlechte Arbeitsqualität aufgrund von Übermüdung. Lange Arbeitszeiten können zudem negative psychische, physische und soziale Auswirkungen mit sich bringen. Bei Beschäftigten können überlange Arbeitszeiten dazu führen, dass sie kein normales Privatleben mehr haben, sich akademisch oder beruflich nicht weiterbilden und diverse Dienstleistungen (z.B. medizinische Versorgung) während der normalen Öffnungszeiten nicht in Anspruch nehmen können.

Viele Unternehmen haben Richtlinien zu Höchstarbeitszeiten und Überstunden, aber auch zu Pausen während der Arbeit, Ruhezeiten außerhalb der Arbeitszeit und bezahlten Urlauben. In vielen Ländern gibt es jedoch keine angemessenen Gesetze und keinen ausreichenden Schutz für Beschäftigte hinsichtlich der Arbeitszeiten und Löhne. Einige Unternehmen nutzen dies aus, indem sie ihren Angestellten überlange Arbeitszeiten vorschreiben oder ihnen erlauben, übermäßige Überstunden zu machen, wenn ihr normaler Lohn nicht zum Leben ausreicht. In solchen Fällen sind die internationalen Arbeitsstandards ein wichtiger Maßstab für die Unternehmensrichtlinien zu Arbeitszeiten.

Auf der anderen Seite arbeitet etwa ein Fünftel der weltweit Beschäftigten in Teilzeit mit weniger als 35 Stunden pro Woche. In vielen Niedriglohnländern arbeiten verhältnismäßig mehr Menschen mit kurzen Arbeitszeiten. Das bedeutet, dass viele Beschäftigte weniger Stunden arbeiten, als sie eigentlich möchten oder als sie zum Überleben brauchen. Zeitliche Unterbeschäftigung ist häufig auch ein Ausschlussgrund für bestimmte Sozialversicherungsleistungen, die auf einer Mindestarbeitszeit beruhen.

Neue Formen der Arbeitszeit, wie z. B. verkürzte Wochenarbeitszeit, Gleitarbeitszeit, Jahresarbeitszeit, flexible Arbeitszeiten und Arbeit auf Abruf, bieten neue Chancen und Herausforderungen.

Was ist die Herausforderung?

Wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass es die einschlägigen internationalen Standards und nationalen Gesetze in Bezug auf die Arbeitszeiten einhält, wenn die Beschäftigten dazu genötigt werden, keine Wahl haben oder in einem Umfeld leben und tätig sind, in dem sie überlange Arbeitszeiten akzeptieren müssen? Aufgrund von Produktionsunterbrechungen oder übermäßigen Aufträgen können die Beschäftigten gezwungen sein, länger zu arbeiten, oder sie wollen sogar mehr Stunden arbeiten, um sich und ihre Familien ernähren zu können. Dies kann auch in einem Land der Fall sein, in dem lange Arbeitszeiten kulturell akzeptiert werden oder in dem die Regierung die Arbeitszeiten nicht beschränkt oder Arbeitszeitgesetze nicht wirksam durchsetzt.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch familienfreundliche Arbeitszeitrichtlinien

Lange Arbeitszeiten haben nicht nur Auswirkungen auf die Beschäftigten, sondern auch auf deren Familien. Familienfreundliche Richtlinien – einschließlich bezahlter Elternzeit oder Kinderkrankentage, Unterstützung beim Stillen, erschwinglicher und qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung, flexibler Arbeitszeitregelungen und Zugang zu einem Mindestmaß an sozialem Schutz – stehen nicht nur im Zusammenhang mit einer höheren Produktivität und der Gewinnung, Motivation und Bindung von Beschäftigten, sondern führen auch zu gesünderen, besser ausgebildeten Kindern, Gleichstellung der Geschlechter und nachhaltigem Wachstum. Hunderte Millionen von Beschäftigten in globalen Lieferketten haben jedoch keine grundlegenden Ansprüche auf die Zeit, die Unterstützung und die Mittel, die zur Versorgung ihrer Familien notwendig wären.

Die Arbeitszeit ist ein wichtiger Faktor, der die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben entweder erleichtern (z. B. durch Arbeitszeitverkürzung und bestimmte Formen flexibler Arbeitszeitregelungen) oder behindern kann (z. B. durch übermäßig lange oder unvorhersehbare Arbeitszeiten). Unternehmen können die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben unterstützen, indem sie familienfreundliche Richtlinien verfolgen, die mit internationalen Arbeitsnormen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben im Einklang stehen.

Verbreitung von Arbeitszeitverstößen

Eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, dass im Jahr 2016 479 Millionen Menschen oder 9 % der Weltbevölkerung 55 Stunden pro Woche oder mehr arbeiteten.

Zu den wichtigsten Trends gehören:

  • Der Anteil der Bevölkerung mit langen Arbeitszeiten nimmt zu, was Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten hat. Von 2000 bis 2016 ist der Anteil der Menschen, die mindestens 55 Stunden pro Woche arbeiten, um 9 % gestiegen. Lange Arbeitszeiten führten 2016 zu 745.000 Todesfällen durch Schlaganfall und ischämische Herzerkrankungen, was einem Anstieg von 29 % seit dem Jahr 2000 entspricht. Überlange Arbeitszeiten erhöhen zudem nachweislich das Verletzungsrisiko, unabhängig von der Anzahl der regelmäßigen Schlafstunden.
  • Ein Anstieg flexibler, befristeter oder freiberuflicher Arbeitsplätze und sogenannter „Gig-Arbeitaufgrund von zunehmender Telearbeit, neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie deregulierter Arbeitsmärkte hat ebenfalls den Trend zu längeren Arbeitszeiten verstärkt. Dies führt dazu, dass die Grenzen zwischen Arbeits- und Ruhezeiten zunehmend aufweichen.
  • In vielen Teilen der Welt besteht ein enger Zusammenhang zwischen niedrigen Löhnen und überlangen Arbeitszeiten. Die ILO berichtet, dass der Anteil der Beschäftigten mit übermäßig langen Arbeitszeiten in Entwicklungsländern mehr als doppelt so hoch ist, wie in Industrieländern. In Entwicklungsländern sind die langen Arbeitszeiten vor allem auf niedrige Löhne zurückzuführen, was bedeutet, dass Beschäftigte oft lange arbeiten müssen, um „über die Runden zu kommen“. In Industrieländern hingegen wird von bestimmten Fach- und Führungskräften erwartet, dass sie so viele Stunden arbeiten, wie für die Erledigung ihrer Aufgaben erforderlich sind, und/oder dass sie Überstunden machen, um ihr Engagement für das Unternehmen zu zeigen und so ihre Karriere voranzutreiben.

Auswirkungen auf Unternehmen

Unternehmen können durch Arbeitszeitverletzungen in ihren Betrieben und Lieferketten auf vielfältige Weise beeinträchtigt werden:

  • Rechtliche Risiken können auftreten, wenn ein Unternehmen die gesetzlichen Grenzen für Überstunden nicht einhält oder den Beschäftigten die geleisteten Überstunden nicht ausbezahlt. Wenn Beschäftigte aufgrund von Überanstrengung einen Unfall haben oder erkranken, kann das Unternehmen auch von den betroffenen Personen oder einer Gewerkschaft verklagt werden.
  • Operative Risiken bestehen häufig, wenn Beschäftigte überlastet sind, weil sie dann eher Fehler begehen oder ihre Aufgaben nicht optimal erledigen können. Dies kann zu direkten Arbeitsunfällen, zu Unfällen auf dem Weg zur Arbeit (z. B. Einschlafen auf der Heimfahrt nach einer langen Schicht) und zu Problemen mit der Qualität der hergestellten Produkte führen.
  • Das Wohlbefinden der Beschäftigten kann in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn die Arbeitszeiten zu lang sind und keine angemessenen Pausen oder Urlaube in Anspruch genommen werden. Ermüdete und überarbeitete Beschäftigte haben ein höheres Risiko, körperlich zu erkranken, psychische Probleme wie Stress und Angstzustände zu entwickeln, Fehler aufgrund von Übermüdung zu machen oder Unfälle am Arbeitsplatz zu verursachen. Dies kann dazu führen, dass Beschäftigte das Unternehmen verlassen, ihre Produktivität nachlässt und/oder die Abwesenheits- und Krankheitsquote steigt.
  • Reputationsrisiken treten auf, wenn die Probleme der Beschäftigten öffentlich werden. Dadurch können weniger Talente für das Unternehmen gewonnen werden und kann zu Kritik von Anteilseigner:innen und Kund:innen führen. Ein aktuelles Beispiel ist die 100-Stunden-Woche, die von Praktikant:innen bei Banken in Großbritannien und den USA erwartet wurden, was zahlreiche Ausbeutungsklagen zur Folge hatte.
  • Finanzielle Risiken: Operative Risiken können zu finanziellen Risiken werden, wenn diese zu Unterbrechungen interner Prozesse oder zu Lieferengpässen führen, die wiederum die Produktion beinträchtigen können.

Auswirkungen auf die Menschenrechte

Arbeitszeitverletzungen können Auswirkungen auf eine Reihe von Menschenrechten haben.[1] Dazu zählen unter anderem:

  • Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7 Sozialpakt; Art. 23 AEMR): Beschäftigte haben ein Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, einschließlich angemessenem Lohn und gleichem Entgelt für gleichwertige Arbeit, gesunder und sicherer Arbeitsbedingungen, des Rechts auf Arbeitspausen, Freizeit, Urlaub und eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit als Teil der Arbeitsbedingungen.
  • Recht auf Gesundheit (Art. 12 Sozialpakt; Art. 25 AEMR; verschiedene ILO-Übereinkommen): Beschäftigte mit langen Arbeitszeiten, vor allem über lange Zeiträume hinweg, sind oft Langzeitrisiken in Bezug auf ihre Gesundheit und Sicherheit ausgesetzt.
  • Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 10 Sozialpakt): Überlange Arbeitszeiten können sich negativ auf das Familienleben der Beschäftigten auswirken, sowohl in Bezug auf die Zeit außerhalb der Arbeit, um einen Partner kennenzulernen und eine Familie zu gründen, als auch in Bezug auf die Möglichkeit, ein Familienleben zu führen.
Sustainable Development Goals (SDGs)

Die folgenden SDGs beziehen sich auf die Arbeitszeit:

  • SDG 5 („Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“), Zielvorgabe 5.4: Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit durch die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und Infrastrukturen, Sozialschutzmaßnahmen und die Förderung geteilter Verantwortung innerhalb des Haushalts und der Familie entsprechend den nationalen Gegebenheiten anerkennen und wertschätzen. Eine Begrenzung der Arbeitszeit verschafft Frauen und Männern mehr Zeit, um einen gleichberechtigten Beitrag zur unbezahlten Pflege- und Hausarbeit zu leisten.
  • SDG 8 („Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern“), Zielvorgabe 8.8: Die Arbeitsrechte schützen und sichere Arbeitsumgebungen für alle Arbeitnehmer, einschließlich der Wanderarbeitnehmer, insbesondere der Wanderarbeitnehmerinnen, und der Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, fördern.

Hilfreiche Informationen

Die folgenden Quellen und Umsetzungshilfen bieten weitere Informationen dazu, wie sich Unternehmen verantwortungsvoll mit Arbeitszeiten in ihrem Geschäftsbereich und in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten auseinandersetzen können:

  • ILO, Working Time in the Twenty-First Century (engl.): Dieser Bericht gibt einen Überblick über aktuelle Trends und Entwicklungen in Bezug auf die Arbeitszeiten in der ganzen Welt.
  • ILO, Guide to Developing Balanced Working Time Arrangements (engl.): Dieser praxisbezogene Leitfaden enthält eine „How-to“-Anleitung zu Arbeitszeitregelungen in Arbeitsplänen.
  • Ethical Trading Initiative, Base Code Guidance: Working Hours (engl.): Dieser schrittweise Leitfaden unterstützt Unternehmen bei der Verbesserung der Arbeitszeiten in ihren Lieferketten.
  1. Mit der Einführung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Achtung der Menschenrechte verlagern die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (engl.: UN Guiding Principles on Business and Human Rights – UNGPs) den Fokus von Auswirkungen auf Unternehmen hin zu Auswirkungen auf (potenziell) Betroffene. Weitere Informationen zu den UNGPs finden Sie im Abschnitt „Arbeitszeit im Sorgfaltsprozess adressieren“.

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