Was ist Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz?

Bei Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit – auch bekannt als Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz – geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfelds, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten und bei arbeitsbedingten Verletzungen für Schadenersatz zu sorgen.

Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz werden auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene gesetzlich geregelt und gelten nicht nur für typischerweise gefährliche Tätigkeiten, wie Arbeiten in großer Höhe oder mit Chemikalien, sondern für alle Arbeitsstätten, einschließlich Büros. Arbeitsschutzgesetze und -vorschriften enthalten auch die Bestimmung, dass Unternehmen die Tätigkeit und den Arbeitsort an die Fähigkeiten der Beschäftigten unter Berücksichtigung ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit anpassen müssen.

Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind integrale Bestandteile des Rechts auf den höchsten erreichbaren Standard körperlicher und geistiger Gesundheit (oder einfacher ausgedrückt: das Recht auf Gesundheit), das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt, IPwskR) und vielen anderen internationalen Menschenrechtsübereinkommen garantiert wird. Darüber hinaus gelten gesunde und sichere Arbeitsbedingungen zu den grundlegenden Bestimmungsfaktoren für Gesundheit – das heißt, sie sind Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung des Rechts auf Gesundheit.

Was ist die Herausforderung?

Die Herausforderung für verantwortungsbewusste Unternehmen besteht darin, zu gewährleisten, dass die Arbeitsplätze für alle Beschäftigten an ihren Unternehmensstandorten und in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten sicher sind, insbesondere wenn sie in Ländern tätig sind, in denen der nationale Sicherheits- und Gesundheitsschutz sowie der Arbeitsunfallschutz unzureichend sind oder in denen es auf nationaler Ebene und am Arbeitsplatz keine Kultur der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes gibt.

Verantwortungsbewusste Unternehmen können in Situationen geraten, in denen ihre eigenen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen und -standards von Zulieferbetrieben oder Geschäftspartner:innen nicht erfüllt werden können, weil es in dem Land an Ausrüstung oder Ressourcen mangelt, oder weil sie nicht bereit sind, Standards einzuführen, die über die Einhaltung lokaler Gesetze hinausgehen und als unnötige Ausgaben angesehen werden. Darüber hinaus kann die Anpassung des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsaktivitäten an die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten eine Herausforderung darstellen, da verschiedene Beschäftigten auch unterschiedliche Anforderungen haben.

Verbreitung von Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz

Nach Schätzungen der ILO kommen jedes Jahr 2,78 Millionen Beschäftigte durch Arbeitsunfälle und berufsbedingte Krankheiten ums Leben und weitere 374 Millionen Beschäftigte erleiden nicht-tödliche Arbeitsunfälle. Dies entspricht 7.500 Todesfällen täglich, die durch unsichere und ungesunde Arbeitsbedingungen verursacht werden. Davon sind 6.500 auf arbeitsbedingte Erkrankungen und 1.000 auf Arbeitsunfälle zurückzuführen. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Schätzung, da viele Todesfälle oder Verletzungen am Arbeitsplatz den zuständigen Behörden nicht gemeldet werden. Auch langfristige arbeitsbedingte Erkrankungen oder Todesfälle (z. B. Erkrankungen der Atemwege oder Krebserkrankungen, die durch die Arbeit mit Chemikalien verursacht wurden) werden möglicherweise nicht gemeldet, da eine Erkrankung oder der Tod viele Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten können.

Viele Beschäftigte leiden auch unter psychischen Problemen wie Angst oder Stress, die durch die berufliche Tätigkeit und das Arbeitsumfeld verursacht oder verschlimmert werden können. Dies kann auch zu Langzeiterkrankungen oder Fehltagen aufgrund psychischer Probleme führen. Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deuten darauf hin, dass der Weltwirtschaft durch Produktivitätsausfälle aufgrund psychischer Erkrankungen jedes Jahr Kosten in Höhe von über 1 Billion US-Dollar entstehen.

Zu den wichtigsten Trends zählen:

  • Berufsbedingte Todesfälle und Krankheit sind nicht gleichmäßig über Länder und Regionen, Industrien und Berufe verteilt. Schätzungsweise zwei Drittel (65 %) der weltweiten arbeitsbedingten Todesfälle treten in Asien auf, gefolgt von Afrika (11,8 %), Europa (11,7 %), Amerika (10,9 %) und Ozeanien (0,6 %). Die Quote der tödlichen Arbeitsunfälle pro 100.000 Beschäftigte weist ebenfalls starke regionale Unterschiede auf, wobei die Quote in Afrika und Asien vier- bis fünfmal höher ist als in Europa.
  • In der verarbeitenden Industrie, im Baugewerbe sowie im Transport- und Lagerwesen passieren die meisten arbeitsbedingten Unfälle. In diesen hochgefährlichen Sektoren wie auch in anderen Bereichen verteilen sich die arbeitsbedingten Verletzungen nicht gleichmäßig auf die Belegschaft. Am stärksten von arbeitsbedingten Verletzungen betroffen sind Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen (Zeit-, Gelegenheits- oder Teilzeitbeschäftigte), in informellen Beschäftigungsverhältnissen, in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie Beschäftigte, die diskriminiert und ausgegrenzt werden (z. B. Saison- und Wanderarbeitende, junge Beschäftigte sowie Angehörige ethnischer Minderheiten und rassistisch diskriminierte Beschäftigte).
  • Die globale COVID-19-Pandemie hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Aufgrund der COVID-19-Risiken mussten sich Unternehmen an die von den Regierungen in aller Welt erlassenen Beschränkungen anpassen, um die Sicherheit ihrer Belegschaft zu gewährleisten. Dazu gehörte, dass Beschäftigte nach Möglichkeit von zu Hause aus arbeiten konnten, dass Schichtpläne erstellt wurden, die „Social Distancing“ ermöglichen und strengere Reinigungs- und Hygienevorschriften für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz eingeführt wurden. Diese Vorkehrungen dauern weiterhin an und in einigen Branchen (z. B. bei professionellen Dienstleistungen) ist eine flexiblere, ortsferne Arbeitsweise entstanden, was neue Herausforderungen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz mit sich bringt, u. a. was die Sicherstellung einer geeigneten Ausrüstung für Beschäftigte, die von zu Hause aus arbeiten, betrifft. Es kam auch zu einer Zunahme von psychischen Problemen, da sich Beschäftigte isoliert fühlen und Arbeit und Privatleben nicht mehr klar voneinander trennen können.
  • Die Berücksichtigung und der Schutz der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz spielen im betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzmanagement eine immer größere Rolle. Psychische Probleme, wie arbeitsbedingter Stress oder Depressionen, wirken sich nicht nur auf eine einzelne Person aus, sondern führen auch zu Produktivitätsverlusten im Unternehmen. Während in einigen Ländern das Thema der psychischen Gesundheit immer noch als Tabu oder kontrovers gilt, unterstützen andere Unternehmen bereits proaktiv Konzepte zur Förderung der psychischen Gesundheit und des Wohlbefindens der Beschäftigten.
  • Die Weltbank schätzt, dass etwa 1 Milliarde Menschen – 15 % der Weltbevölkerung – mit einer Behinderung leben. Arbeitsschutzmanagement wird daher zunehmend auf körperliche Beeinträchtigungen, wie Blindheit oder andere körperliche Einschränkungen, sowie auf kognitive Beeinträchtigungen, wie Autismus, Legasthenie oder Lernschwächen, ausgerichtet. Die ILO betont, dass Unternehmen, die auf inklusive Arbeitsbedingungen achten, mit größerer Wahrscheinlichkeit eine positive Arbeitsmoral, ein hohes Produktivitätsniveau und eine vielfältigere Belegschaft vorweisen.

Auswirkungen auf Unternehmen

Risiken für Sicherheit und Gesundheit bestehen zwar an allen Arbeitsorten, aber in Ländern mit begrenzten Ressourcen, einem schwachen Rechtsrahmen, unzureichender Durchsetzung und wenig Unterstützungsangeboten sind sie besonders hoch. Dies wird häufig durch die Abwesenheit einer präventiven Sicherheits- und Gesundheitskultur sowohl auf nationaler als auch auf betrieblicher Ebene und durch das Fehlen von Schutzmaßnahmen gegen Verletzungen am Arbeitsplatz verstärkt. Unternehmen können von Arbeits- und Gesundheitsschutzproblemen in ihren Betriebsabläufen und Lieferketten auf vielfältige Weise betroffen sein:

  • Physisches Risiko: Zu den Unfällen im Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheitsschutz können größere Vorfälle wie Brände, Explosionen oder Einstürze von Gebäuden gehören, bei denen nicht nur Beschäftigte verletzt, sondern auch Eigentum zerstört und beschädigt wird, was mit erheblichen Kosten für Unternehmen verbunden ist.
  • Reputations- und Markenrisiko: Negative Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gewerkschaften, Konsument:innen, Medien und anderen Interessensgruppen können zu Umsatzeinbußen und/oder Markenerosion führen.
  • Finanzielles Risiko: Eine Veräußerung durch oder ein Abwenden von Investor:innen und anderen Geldgebenden – von denen viele zunehmend Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (engl.: Environmental, Social and Governance – ESG) in ihre Entscheidungsfindung miteinbeziehen – kann zu einem eingeschränkten oder teureren Zugang zu Kapital und einem geringeren Unternehmenswert führen.
  • Rechtliches Risiko: Gegen das Unternehmen können rechtliche Ansprüche geltend gemacht werden und es kann strafrechtlich belangt werden, wenn Beschäftigte verletzt oder getötet werden.
  • Operationelles Risiko: Unfälle im Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz und die damit verbundene Medienberichterstattung und/oder Boykotte können zu höheren Kosten führen und/oder die Aufrechterhaltung des Betriebs beeinträchtigen. Unternehmen können darauf reagieren, indem sie Lieferverträge kündigen und/oder ihre Beschaffungsaktivitäten in Länder mit geringerem Risiko verlagern.

Auswirkungen auf die Menschenrechte

Unzureichende Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz können Auswirkungen auf eine Reihe von Menschenrechten haben.[1] Dazu zählen unter anderem:

  • Recht auf Leben und Sicherheit der Person (Art. 3 AEMR): Dieser Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) bekräftigt das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Unzureichende Praktiken und Vorgehensweisen im Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz können sich auf die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten auswirken und im schlimmsten Fall das Grundrecht auf Leben gefährden.
  • Recht auf Gesundheit (Art. 25 AEMR, Art. 12 Sozialpakt): Diese Artikel bestimmen das Recht eines jeden Menschen auf das Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit, das ausdrücklich mit der Verbesserung der „Arbeitshygiene“ sowie mit der Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung von berufsbedingten Krankheiten verbunden ist. Das Recht auf Gesundheit kann durch ein ungesundes oder gefährliches Arbeitsumfeld beeinträchtigt werden. Sowohl einmalige Unfälle als auch langfristige Arbeitsbedingungen können sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Menschen, einschließlich der psychischen Gesundheit, auswirken.
  • Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen (Art. 23 AEMR, Art. 7 Sozialpakt): Das Recht eines jeden Menschen auf sichere und gesunde, angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen wird ebenfalls als integraler Bestandteil des Rechts auf Arbeit angesehen, zu dem auch das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen zählt. Dies setzt voraus, dass Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitsunfällen und berufsbedingten Erkrankungen ergriffen werden.
Sustainable Development Goals (SDGs)

Die folgenden SDGs beziehen sich auf Sicherheit und Gesundheit:

  • SDG 3 („Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“), Zielvorgabe 3.9: Bis 2030 die Zahl der Todesfälle und Erkrankungen aufgrund gefährlicher Chemikalien und der Verschmutzung und Verunreinigung von Luft, Wasser und Boden erheblich verringern.
  • SDG 8 („Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern“), Zielvorgabe 8.8: Die Arbeitsrechte schützen und sichere Arbeitsumgebungen für alle Arbeitnehmer, einschließlich der Wanderarbeitnehmer, insbesondere der Wanderarbeitnehmerinnen, und der Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, fördern.
  • SDG 16 („Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“), Zielvorgabe 16.6: Leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und transparente Institutionen auf allen Ebenen aufbauen.

Hilfreiche Informationen

Die folgenden Quellen und Umsetzungshilfen bieten weitere Informationen dazu, wie sich Unternehmen verantwortungsvoll mit Risiken für Sicherheit und Gesundheit in ihrem Geschäftsbereich und in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten auseinandersetzen können:

  • ILO und United Nations Global Compact, Nine Business Practices for Improving Safety and Health Through Supply Chains and Building a Culture of Prevention and Protection (engl.): Dieser Bericht nennt Vorgehensweisen, die Unternehmen umsetzen können, um menschenwürdige Arbeit zu fördern und Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz weltweit zu verbessern, insbesondere wenn sie in Ländern mit unzureichenden Sicherheits- und Gesundheitsstandards und begrenzten Arbeitsunfallschutzmaßnahmen tätig sind.
  • ILO, Occupational Safety and Health in Global Value Chains Starterkit (engl.): Dieses Tool bietet einen Leitfaden für Verbesserungen im Bereich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatzt unter Einbeziehung von Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen in der gesamten Wertschöpfungskette. Zudem bietet es Praxisbeispiele aus der Landwirtschaft und der Bekleidungsindustrie.
  • ISO, 45001: Occupational Health and Safety Standard (engl.): Der erste internationale Standard für Sicherheit und Gesundheit, der auf der Norm OHSAS18001 aufbaut und ähnlich strukturiert ist wie andere ISO-Managementsysteme (z.B. ISO 14001 oder ISO 9001).
  • The Institution of Occupational Safety and Health (IOSH), Delivering a Sustainable Future (engl.): Dieser Bericht verbindet die Schlüsselelemente des Arbeitsschutzmanagements mit den SDGs.
  1. Mit der Einführung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Achtung der Menschenrechte verlagern die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (engl.: UN Guiding Principles on Business and Human Rights – UNGPs) den Fokus von Auswirkungen auf Unternehmen hin zu Auswirkungen auf (potenziell) Betroffene. Weitere Informationen zu den UNGPs finden Sie im Abschnitt Sicherheit und Gesundheit im Sorgfaltsprozess adressieren“.

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