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Definition und rechtliche Instrumente

Definition

Der Begriff „Zwangsarbeit“ ist laut ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit (1930) definiert als jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung von Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Im Folgenden werden drei Elemente von Zwangs- oder Pflichtarbeit betrachtet:

  • Arbeit oder Dienstleistung ist von „Bildung oder Ausbildung“ zu unterscheiden. Der Grundsatz der Schulpflicht wird in verschiedenen internationalen Dokumenten als Mittel zur Sicherung des Rechts auf Bildung anerkannt. Dazu gehört auch eine obligatorische Berufsausbildung, die keine Zwangsarbeit darstellt. Bei Arbeit oder Dienstleistung handelt es sich um alle Arten von Arbeit und Beschäftigung, unabhängig von der Branche oder dem Sektor, in dem sie ausgeübt wird, einschließlich des informellen Sektors.
  • Die Androhung von Strafe ist im weiten Sinne zu verstehen: Sie umfasst sowohl strafrechtliche Sanktionen als auch verschiedene Formen des Zwangs, wie z.B. Haft, Verweigerung der Lohnzahlung oder Bewegungseinschränkungen für Beschäftigte. Als Androhungen von Strafe gelten auch die Androhung oder Anwendung von Gewalt, körperliche Zwänge oder sogar Todesdrohungen bis hin zu psychologischen Drohungen, wie z.B. die Meldung einer illegal beschäftigten Person bei den Behörden. Auch kann der Entzug von Rechten oder Privilegien angedroht werden.
  • Arbeit oder Dienstleistung wird unfreiwillig verrichtet. Die Unfreiwilligkeit bezieht sich auf das Konzept der Einwilligung, was das zentrale Kriterium darstellt. Die freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung muss während des gesamten Arbeitsverhältnisses vorliegen, und die/der Beschäftigte muss die Möglichkeit haben, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen. Unfreiwillige Arbeit ist mit externem Druck verbunden, wie z.B. der teilweisen Einbehaltung des Lohns als Bedingung für die Rückzahlung eines Kredits, dem Ausbleiben von Löhnen oder das Einbehalten von Ausweisdokumenten. Beschäftigte können auch aufgrund von betrügerischen, irreführenden Einstellungspraktiken in Zwangsarbeit geraten, bei denen sie für eine bestimmte Tätigkeit und zu bestimmten Bedingungen (freiwillig) eingestellt werden, dann aber gezwungen werden, eine andere Tätigkeit unter ausbeuterischen Bedingungen (unfreiwillig) auszuüben. (Arbeits-)Migrant:innen sind hiervon besonders oft betroffen.

Die versteckten Elemente von Zwangsarbeit und ihre vielen Arten machen es für Unternehmen noch schwieriger, dieses Problem zu adressieren. Zwangsarbeit kann verschiedene Formen annehmen, unter anderem die folgenden:

  • Schuldknechtschaft liegt vor, wenn ein:e Arbeiter:in entweder gezwungen ist, für wenig oder kein Entgelt zu arbeiten, um eine Schuld zu begleichen (entweder seine eigene oder die einer/eines anderen), oder wenn ein:e Arbeiter:in gezwungen wird, sich zu verschulden, um Zugang zu Arbeit zu erhalten. Im ersten Fall handelt es sich eindeutig um Zwangsarbeit, während es im zweiten Fall vielleicht nicht immer offensichtlich ist. In einigen Teilen der Welt ist es üblich, dass Arbeitsvermittlungen hohe Gebühren von Wanderarbeitenden verlangen, um ihnen Arbeit im Ausland zu verschaffen. Diese Gebühren sind oft unrechtmäßig hoch und stellen eine Form der Erpressung von vulnerablen Personen dar. Das Problem der Vermittlungsgebühren ist in den letzten 10 bis 15 Jahren stark in den Vordergrund gerückt und gilt inzwischen als ein anerkanntes Kennzeichen für moderne Sklaverei. In einigen Ländern und für einige Tätigkeiten können die Gebühren mehr als 5.000 US-Dollar betragen. Die meisten Beschäftigten können diese Gebühren nicht aus ihren eigenen Mitteln oder denen ihrer Familie bezahlen und verschulden sich daher bei informellen Geldverleiher:innen zu hohen Zinssätzen. Die daraus resultierenden Gebühren und Zinszahlungen können einen großen prozentualen Anteil des Gehalts der Beschäftigten über mehrere Monate oder Jahre ausmachen.
  • Diese Form der Schuldknechtschaft ermöglicht häufig auch weitere Arbeitsrechtsverletzungen wie etwa Lohndiebstahl, Subunternehmertum, schlechte Unterbringung und körperliche oder sexuelle Misshandlung, da betroffene Beschäftige es sich oft nicht leisten können, ihre Arbeit zu verlieren und damit ihren Kredit nicht zurück zahlen zu können. Das Prinzip „Employer Pays“ (dt.: „Der/die Arbeitgebende zahlt“) wurde von der ILO und anderen Organisationen gefördert, um sicherzustellen, dass die Kosten für die Einstellung und den Einsatz von Beschäftigen durch die Arbeitgebenden übernommen werden, sodass Wanderarbeitende und andere vulnerable Personen bei ihrer Arbeitssuche nicht in die Verschuldung getrieben werden (weitere Informationen auf der Seite der „Employer Pays Kampagne“).
  • Pflichtarbeit liegt vor, wenn Menschen – häufig von der Regierung – gesetzlich verpflichtet werden, zu arbeiten. Dies ist laut ILO-Übereinkommen Nr.105 verboten. Dazu gehört die Verpflichtung zur Arbeit als Strafe für die Äußerung politischer Ansichten, für die Zwecke des wirtschaftlichen Aufbaus, als arbeitsdisziplinäre Maßnahme, als Strafe für die Teilnahme an Streiks und als Mittel der rassistischen, religiösen oder sonstigen Diskriminierung.
  • Gefängnisarbeit ist dann Zwangsarbeit, wenn sie für private Einrichtungen ohne die freie Einwilligung des Gefangenen nach zuvor erfolgter Aufklärung geleistet wird und wenn die Arbeitsbedingungen nicht denen eines freien Arbeitsverhältnisses entsprechen. So erhalten Gefangene, die solche Arbeiten verrichten, nur eine geringe oder gar keine Kompensation oder können ihre Zustimmung nicht jederzeit widerrufen. Das ILO-Übereinkommen Nr. 105 verbietet den Einsatz von Zwangsarbeit in Gefängnissen. Zu Zwangsarbeitenden in Gefängnissen können politische Gefangene oder Gefangene, die „umerzogen“ werden sollen, zählen.
  • Menschenhandel liegt vor, wenn Personen von einem Ort zum anderen gebracht werden (oft über Landesgrenzen hinweg), um entweder sexuell oder als Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden. Sobald sie außer Reichweite ihrer Familien und ihres sozialen Umfeldes sind, sind die Opfer von Menschenhandel sehr vulnerabel und könnten gezwungen werden, eine völlig andere Tätigkeit anzunehmen oder unten Bedingungen zu arbeiten, denen sie nicht zugestimmt haben.

Nach Angaben der ILO können folgende Indikatoren helfen, Personen zu identifizieren, die sich möglicherweise in einer Zwangsarbeitssituation befinden und dringend Hilfe benötigen:

  • Missbrauch der Schutzbedürftigkeit
  • Täuschung
  • Einschränkung der Bewegungsfreiheit
  • Isolation
  • Körperliche und sexuelle Gewalt
  • Einschüchterung und Drohungen
  • Zurückhaltung von Ausweispapieren
  • Einbehaltung von Lohn
  • Schuldknechtschaft
  • Missbräuchliche Arbeits- und Lebensbedingungen
  • Übermäßige Überstunden

Das Vorliegen eines einzigen Indikators kann in einigen Fällen auf das Vorhandensein von Zwangsarbeit hindeuten. In anderen Fällen hingegen müssen Unternehmen möglicherweise auf mehrere Indikatoren achten, die – zusammengenommen – auf Zwangsarbeit hindeuten.

Rechtliche Instrumente

ILO-Übereinkommen

Zwei ILO-Übereinkommen und ein ILO-Protokoll bilden den internationalen Rechtsrahmen zum Verbot von Zwangsarbeit und dienen den meisten Ländern als Orientierung für ihre eigenen nationalen Gesetze. Diese Instrumente definieren die Bedingungen und Umstände, die Zwangsarbeit ausmachen, und dienen als Bezugspunkt für nationale Gesetze, die sich nach internationalen Standards richten. Die Beseitigung der Zwangsarbeit ist eines der fünf grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (ILO-Kernarbeitsnormen), die ILO-Mitgliedsstaaten unterstützen müssen unabhängig davon, ob sie die entsprechenden Übereinkommen ratifiziert haben.

Im März 2021 erreichte die von der ILO, dem IGB und der IOE geführte Kampagne “50 for freedom“ ihr Ziel, dass 50 Länder das Protokoll ratifizieren. Das Protokoll ermutigt die Regierungen, die Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht des öffentlichen und privaten Sektors zur Verhinderung von Zwangsarbeit zu unterstützen. Das Protokoll von 2014 ist für Unternehmen von besonderer Bedeutung, da es spezielle Bestimmungen für Unternehmen enthält. So wird beispielsweise in Artikel 2, der die zur Verhütung von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu treffenden Maßnahmen beschreibt, unter anderem auf folgende Maßnahmen verwiesen:

  • „die Aufklärung und Unterrichtung der Arbeitgeber, um zu verhindern, dass sie in Zwangs- oder Pflichtarbeitspraktiken verwickelt werden“ und
  • „die Unterstützung der Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors, um den Risiken von Zwangs- oder Pflichtarbeit vorzubeugen und darauf zu reagieren“

Die ILO-Instrumente gegen Zwangsarbeit sind fast universell ratifiziert worden. Die Aufsichtsgremien der ILO, insbesondere der Sachverständigenausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen (engl.: Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations – CEACR) und der Ausschuss für die Durchführung der Normen (engl.: Committee on the Application of Standards – CAS), bewerten regelmäßig, wie die ratifizierenden Staaten ihre Verpflichtungen aus diesen Übereinkommen implementieren und erfüllen.

Die Ratifizierung ist jedoch keine Garantie dafür, dass diese Länder frei von Zwangsarbeit sind, da sich die jeweiligen nationalen Gesetze zur Bekämpfung von Zwangsarbeit unterscheiden und möglicherweise unzureichend umgesetzt werden. Bei Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht ist es daher wichtig, den Ratifizierungsstatus bestimmter Länder als Indikator für einen möglicherweise eingeschränkten staatlichen Schutz vor Zwangsarbeit zu prüfen.

Der Kampf gegen Zwangsarbeit ist eines der 10 Prinzipien der Global Compact Initiative der Vereinten Nationen: „Prinzip 4: Unternehmen sollen sich für die Abschaffung aller Formen der Zwangs- und Pflichtarbeit einsetzen“. Die vier arbeitsrechtlichen Prinzipien des UN Global Compact beruhen auf der Erklärung der ILO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit.

Diese grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit wurden in Form von spezifischen Rechten und Pflichten in den internationalen Arbeitsübereinkommen und Arbeitsempfehlungen bekräftigt und betreffen Themen im Zusammenhang mit Kinderarbeit, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Zwangsarbeit sowie Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen.

Die Mitgliedstaaten der ILO sind verpflichtet, die tatsächliche Abschaffung der Zwangsarbeit zu fördern, auch wenn sie die betreffenden Übereinkommen nicht ratifiziert haben.

Lücken in den nationalen Gesetzen

Ein ILO-Bericht aus dem Jahr 2018 zeigt auf, dass in insgesamt 135 Ländern Gesetze existieren, die Zwangsarbeit definieren und unter Strafe stellen. In den übrigen Ländern hingegen wird das Thema Zwangsarbeit nur teilweise oder gar nicht behandelt. Außerdem können vorhandene Gesetze gegen Zwangsarbeit nicht mit den aktuellen Auswüchsen von Zwangsarbeit in Verbindung mit Menschenhandel, Vermittlungsschulden und anderen Entwicklungen Schritt halten. Zwar sind nationale Gesetze, die Zwangsarbeit definieren und unter Strafe stellen, unerlässlich, jedoch gibt es in vielen Ländern mit fortschrittlichen Zwangsarbeitsgesetzen immer noch Probleme mit Zwangsarbeit.

Andere rechtliche Instrumente

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (engl. UN Guiding Principles on Business and Human RightsUNGPs oder UN-Leitprinzipien) setzen den globalen Standard hinsichtlich der Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte in ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Geschäftsbeziehungen. Von Staaten fordern die UN-Leitprinzipien, einen „smart mix“ aus nationalen und internationalen, verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen zu erwägen, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern. Die UN-Leitprinzipien sind rechtlich nicht verbindlich, bilden aber die Grundlage vieler Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfalt.

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen wurden 2023 grundlegend überarbeitet um auf dringende soziale, ökologische und technologische Herausforderungen für Unternehmen und Gesellschaften einzugehen.

Nationale und regionale Rechtsvorschriften

Unternehmen sind zunehmend zur Einrichtung von Sorgfaltsprozessen und der Angabe nichtfinanzieller Informationen verpflichtet. In einigen Ländern schreiben Gesetze eine menschenrechtsbezogene Berichterstattung und andere rechtliche Pflichten vor, darunter der United Kingdom Modern Slavery Act (2015), der Australian Modern Slavery Act (2018), der California Transparency in Supply Chains Act (2010), das französische Loi de Vigilance (2017), das Norwegische Transparenzgesetz (2022) und das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, 2021).

2021 wurde im niederländischen Parlament außerdem ein Gesetzesentwurf über verantwortungsvolle und nachhaltige internationale Unternehmensführung eingebracht. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission 2021 eine Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (engl.: Corporate Sustainability Due Diligence Directive  – CSDDD) angekündigt, die voraussichtlich zwischen 2025 und 2027 in Kraft treten wird und menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse für große Unternehmen vorschreibt. 2022 hat die EU Kommission weiterhin ein Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit angekündigt, das Produkte, die unter dem Einsatz von Zwangsarbeit produziert wurden, vom europäischen Markt ausschließen soll.

Einige dieser Gesetze verlangen von Unternehmen, dass sie Sorgfaltsprozesse zur Ermittlung potenzieller und tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte, einschließlich Zwangsarbeit, einrichten, die negativen Auswirkungen adressieren und öffentlich über ihre Bemühungen berichten. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen könnte für Unternehmen ein rechtliches Risiko bedeuten.

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