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Definition und rechtliche Instrumente

Definition

Auf internationaler Ebene existiert keine einheitliche Definition für indigene Völker. Das ILO-Übereinkommen Nr. 169 enthält subjektive und objektive Kriterien für die Identifizierung indigener und in Stämmen lebender Völker. Die Selbstidentifikation ist das einzige wesentliche subjektive Kriterium, während die festgelegten objektiven Kriterien wie folgt lauten:

  • Indigene Völker:
    • Stammen von Bevölkerungsgruppen ab, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren.
    • Behalten, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihre traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen.
  • In Stämmen lebende Völker:
    • Ihre sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse unterscheiden sich von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft.
    • Ihre Stellung ist ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt.

Für den afrikanischen Kontext hat die Afrikanische Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker (engl.: African Commission on Human and Peoples‘ Rights – ACHPR) 2007 eine Stellungnahme zur UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker abgegeben. Die ACHPR betont, dass indigene Völker eine besondere Bindung an und ein Recht auf die Nutzung ihres traditionellen Landes haben und aufgrund ihrer unterschiedlichen Kultur, Lebensweise und Lebensgrundlagen unterdrückt, marginalisiert, enteignet, ausgeschlossen und diskriminiert werden. Diese Stellungnahme misst dem Verständnis von Indigenität als Abstammung von den „ersten Bewohnenden“ vergleichsweise weniger Gewicht bei, denn wie die ACHPR feststellt, betrachten sich die meisten Afrikaner:innen aus diesen Gründen und im afrikanischen Kontext als Indigene.

Freie, vorherige und informierte Zustimmung

Laut dem UN-Expertenmechanismus für die Rechte indigener Völker (EMRIP) ist die freie, vorherige und informierte Zustimmung (engl.: Free, Prior and Informed Consent – FPIC) ein Ausdruck des Rechts auf Selbstbestimmung indigener Völker über ihre politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Prioritäten. Sie besteht aus drei zusammenhängenden und kumulativen Rechten indigener Völker:

  • Das Recht, konsultiert zu werden
  • Das Recht auf Teilnahme
  • Das Recht auf ihr Land, ihre Gebiete und ihre Ressourcen

Auch wenn Staaten den Begriff FPIC unterschiedlich auslegen, ist das Recht indigener Völker, konsultiert zu werden, im Völkerrecht fest verankert. In der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker heißt es, dass Regierungen für Erschließungsprojekte die freie, vorherige und informierte Zustimmung der indigenen Völker einholen sollten. Regierungen sollten auch für Wiedergutmachung sorgen, wenn indigenen Völkern kulturelles oder geistiges Eigentum oder menschliche Ressourcen ohne Zustimmung weggenommen werden. Obwohl das ILO-Übereinkommen Nr. 169 die Terminologie der „freien, vorherigen und informierten Zustimmung“ nicht ausdrücklich enthält, sind Elemente der Zustimmungserfordernisse vorhanden und schließen eine Vorgehensweise, die auf freier, vorheriger und informierter Zustimmung basiert, nicht aus.

Der Sachverständigenausschuss für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen (engl.: Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations – CEACR) erklärt bezüglich des Rechts auf Konsultation:

  • Konsultationen müssen formell, umfassend und nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt werden; es muss ein echter Dialog zwischen Regierungen und indigenen und in Stämmen lebenden Völkern stattfinden, der von Kommunikation und Verständnis, gegenseitigem Respekt, guten Absichten und dem aufrichtigen Wunsch nach einer gemeinsamen Vereinbarung geprägt ist
  • Auf nationaler Ebene müssen geeignete, den Umständen angemessene, Verfahren eingerichtet werden
  • Konsultationen müssen durch die Institutionen der indigenen und in Stämmen lebenden Völker durchgeführt werden
  • Konsultationen sind mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen

Rechtliche Instrumente

Ein ILO-Übereinkommen und eine UN-Erklärung bilden den internationalen Rechtsrahmen für die Rechte indigener Völker und werden von den meisten Ländern, die die Rechte indigener Völker anerkennen, als Leitfaden für ihre eigenen nationalen Gesetze verwendet. In diesen Übereinkommen sind die spezifischen Rechte indigener Völker festgelegt. Sie dienen als Rahmen für die Stärkung der Rechte indigener Völker und Stämme.

Bis zu diesem Zeitpunkt haben etwas mehr als 20 Länder das ILO-Übereinkommen Nr. 169 ratifiziert. Das Übereinkommen ist für die ratifizierenden Länder rechtsverbindlich: Sie müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, damit die Auflagen aus dem Übereinkommen auf nationaler Ebene tatsächlich auch umgesetzt werden. In vielen Ländern bestehen jedoch noch erhebliche Schwierigkeiten bei der rechtlichen und praktischen Umsetzung des Übereinkommens, insbesondere was das Recht auf Konsultation betrifft.

Die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker, ein nicht verbindliches Instrument, wird von den meisten Ländern unterstützt und wurde von der UN-Generalversammlung im September 2007 angenommen. Die Erklärung legt einen universellen Rahmen an Mindeststandards für das Überleben, die Würde und das Wohlergehen der indigenen Völker der Welt fest. Sie führt die bestehenden Menschenrechtsstandards und Grundfreiheiten weiter aus, soweit sie auf die spezifische Situation indigener Völker zutreffen.

Andere rechtliche Instrumente

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (engl. UN Guiding Principles on Business and Human Rights – UNGPs oder UN-Leitprinzipien) setzen den globalen Standard hinsichtlich der Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte in ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Geschäftsbeziehungen. Von Staaten fordern die UN-Leitprinzipien, einen „smart mix“ aus nationalen und internationalen, verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen zu erwägen, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern.

Nationale und regionale Rechtsvorschriften

Unternehmen sind zunehmend zur Einrichtung von Sorgfaltsprozessen und der Angabe nichtfinanzieller Informationen verpflichtet. In einigen Ländern schreiben Gesetze eine menschenrechtsbezogene Berichterstattung, Sorgfaltsprozesse und andere rechtliche Pflichten vor, darunter der United Kingdom Modern Slavery Act 2015, der Australian Modern Slavery Act 2018, der California Transparency in Supply Chains Act, das Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Frankreich, das Norwegische Transparenzgesetz (2022) und das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

2021 wurde im niederländischen Parlament außerdem ein Gesetzesentwurf über verantwortungsvolle und nachhaltige internationale Unternehmensführung eingebracht. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission 2021 eine Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (engl.: Corporate Sustainability Due Diligence Directive  – CSDDD) angekündigt, die voraussichtlich zwischen 2025 und 2027 in Kraft treten wird und menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse für große Unternehmen vorschreibt.

Einige dieser Gesetze verlangen von Unternehmen, dass sie Sorgfaltsprozesse zur Ermittlung potenzieller und tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte, einschließlich auf die Rechte indigener Völker, einrichten, die negativen Auswirkungen adressieren und öffentlich über ihre Bemühungen berichten. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen könnte für Unternehmen ein rechtliches Risiko bedeuten.

Im Juli 2020 ist außerdem das CUSMA-Abkommen (Canada-United States-Mexico Agreement) in Kraft getreten. Es zielt darauf ab, Handelsfragen des 21. Jahrhunderts anzugehen und Handelsmöglichkeiten zu fördern, indem es die Einbeziehung indigener Völker in Handel und Investitionen stärkt, um sicherzustellen, dass ihre Interessen berücksichtigt werden.

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