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Rechtliche Instrumente

ILO- und UN-Übereinkommen

Derzeit gibt es keine internationalen Gesetze oder Übereinkommen über existenzsichernde Löhne im Allgemeinen oder über die Berechnung existenzsichernder Löhne. Folgende Übereinkommen betreffen den Mindestlohn:

Rund die Hälfte aller ILO-Mitgliedstaaten hat das ILO-Übereinkommen Nr. 95 ratifiziert und über 50 ILO-Mitgliedstaaten haben das ILO-Übereinkommen Nr. 131 ratifiziert. Länder, die eines oder beide dieser Übereinkommen ratifiziert haben, sollten über angemessene rechtliche Instrumente verfügen, um sie auf nationaler Ebene umzusetzen. Die Ratifizierung gewährleistet jedoch nicht, dass der rechtliche Schutz für Beschäftigte in allen Ländern gleich wirkungsvoll ist oder gleichermaßen durchgesetzt wird.

Zusätzlich zu den ILO-Übereinkommen sind auch im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, Sozialpakt) staatliche Verpflichtungen enthalten, die für existenzsichernde Löhne relevant sind. In Artikel 7 heißt es, dass das Entgelt den Beschäftigten einen „angemessenen Lebensunterhalt für sich und ihre Familien“ sichern soll, einschließlich eines „gerechten Lohns“. Bei der Ausarbeitung der staatlichen Verpflichtungen im Rahmen dieser Bestimmung hat der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte betont, dass der Begriff des gerechten Lohns nicht statisch ist, und angemerkt, dass „für die deutliche Mehrheit der Beschäftigten ein gerechter Lohn über dem Mindestlohn liegt“. Auch hier sollten die Länder, die den Sozialpakt ratifiziert haben, über entsprechende Maßnahmen verfügen, um diesen internationalen Vertrag auf nationaler Ebene umsetzen zu können.

Im Juni 2022 verabschiedete die ILO auf der 110. Internationalen Arbeitskonferenz eine Resolution, die zu einer verstärkten Zusammenarbeit aufruft, um zu einem besseren Verständnis von existenzsichernden Löhnen beizutragen und den Mitgliedstaaten auf Nachfrage Unterstützung zu bieten.

Existenzsichernde Löhne oder Mindestlöhne aus Sicht der ILO?

Obwohl es keine ILO-Übereinkommen über existenzsichernde Löhne gibt, könnte man argumentieren, dass „existenzsichernde Löhne“ eine Umbenennung des ILO-Konzepts über den Mindestlohn sind. Konkret heißt es im ILO-Übereinkommen Nr. 131: „Bei der Bestimmung der Höhe der Mindestlöhne sind, soweit dies im Hinblick auf die innerstaatlichen Gepflogenheiten und Verhältnisse möglich und angebracht ist, unter anderem zu beachten:

  • Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen unter Berücksichtigung der allgemeinen Höhe der Löhne in dem betreffenden Land, der Lebenshaltungskosten, der Leistungen der sozialen Sicherheit und des vergleichbaren Standes der Lebenshaltung anderer sozialer Gruppen;
  • Wirtschaftliche Gegebenheiten, einschließlich der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung, der Produktivität und des Interesses daran, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und aufrechtzuerhalten.“

Auch in der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik (MNU-Erklärung) heißt es, dass Unternehmen „die bestmöglichen Löhne, Leistungen und Arbeitsbedingungen bieten“ sollten. Die Faktoren, die dabei berücksichtigt werden sollten, sind:

  • „Die Bedürfnisse der Arbeitnehmer und ihrer Familien unter Berücksichtigung des allgemeinen Lohnniveaus in dem jeweiligen Land, der Lebenshaltungskosten, der Leistungen der sozialen Sicherheit und des relative Lebensstandards anderer gesellschaftlicher Gruppen; und
  • Wirtschaftsfaktoren, einschließlich der Erfordernisse der wirtschaftlichen Entwicklung, des Produktivitätsniveaus und der Zweckmäßigkeit, einen hohen Beschäftigungsstand zu erreichen und aufrechtzuerhalten.“

Der Begriff „angemessener Lohn“ findet auch in der Präambel der ILO-Verfassung von 1919 Erwähnung:

„Nun bestehen aber Arbeitsbedingungen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine Unzufriedenheit entsteht, die den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdet. Eine Verbesserung dieser Bedingungen ist dringend erforderlich, z. B. durch Regelung der Arbeitszeit, einschließlich der Festsetzung einer Höchstdauer des Arbeitstages und der Arbeitswoche, Regelung des Arbeitsmarktes, Verhütung der Arbeitslosigkeit, Gewährleistung eines zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angemessenen Lohnes, Schutz der Arbeitnehmer gegen allgemeine und Berufskrankheiten sowie gegen Arbeitsunfälle, Schutz der Kinder, Jugendlichen und Frauen, Vorsorge für Alter und Invalidität, Schutz der Interessen der im Auslande beschäftigten Arbeitnehmer, Anerkennung des Grundsatzes „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“, Anerkennung des Grundsatzes der Vereinigungsfreiheit, Regelung des beruflichen und technischen Unterrichtes und ähnliche Maßnahmen.“

Dieses Zitat verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, einen existenzsichernden Lohn in Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherheit zu bringen. Was einen existenzsichernden Lohn darstellt, kann sehr unterschiedlich aussehen und hängt von einer Reihe an Variablen ab, z.B. dem Vorhandensein sozialer Sicherungssysteme; dem Risiko für Verletzungen, Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste; der Arbeitszeit, die zur Erzielung eines existenzsichernden Lohns notwendig ist usw.

Andere rechtliche Instrumente

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (engl. UN Guiding Principles on Business and Human RightsUNGPs oder UN-Leitprinzipien) setzen den globalen Standard hinsichtlich der Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte in ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Geschäftsbeziehungen. Von Staaten fordern die UN-Leitprinzipien, einen „smart mix“ aus nationalen und internationalen, verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen zu erwägen, um die Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen zu fördern. Die UN-Leitprinzipien sind rechtlich nicht verbindlich, bilden aber die Grundlage vieler Gesetze zur menschenrechtlichen Sorgfalt.

Unternehmen sind zunehmend zur Einrichtung von Sorgfaltsprozessen und der Angabe nichtfinanzieller Informationen verpflichtet. In einigen Ländern schreiben Gesetze eine menschenrechtsbezogene Berichterstattung, Sorgfaltsprozesse und andere rechtliche Pflichten vor, darunter der United Kingdom Modern Slavery Act 2015, der Australian Modern Slavery Act 2018, der California Transparency in Supply Chains Act, das Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Frankreich, das Norwegische Transparenzgesetz (2022) und das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

2021 wurde im niederländischen Parlament außerdem ein Gesetzesentwurf über verantwortungsvolle und nachhaltige internationale Unternehmensführung eingebracht. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission 2021 eine Richtlinie zu Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (engl.: Corporate Sustainability Due Diligence Directive  – CSDDD) angekündigt, die voraussichtlich zwischen 2025 und 2027 in Kraft treten wird und menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse für große Unternehmen vorschreibt.

Einige dieser Gesetze verlangen von Unternehmen, dass sie Sorgfaltsprozesse zur Ermittlung potenzieller und tatsächlicher nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte, einschließlich der Einbehaltung eines existenzsichernden Lohns, einrichten. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen könnte für Unternehmen ein rechtliches Risiko bedeuten.

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